Mein Großvater schrieb seine Manuskripte auf vergilbtem Papier. Nachträgliche Änderungen kritzelte er an den Rand, größere Änderungen fügte er ein, indem er das Blatt zerschnitt und ein Stück Papier mit dem neuen Text dazwischenklebte. Seine Frau oder eine Stenotypistin tippte das Manuskript dann mit der Schreibmaschine ab, die Abbildungen wurden als Papierstapel mit handgeschriebener Quellenangabe auf der Rückseite mit in den Umschlag gesteckt. Den Rest erledigte der Verlag.
Mein Vater ließ seine handgeschriebenen Manuskripte von seiner Sekretärin abtippen, dann gingen Fachkollegen oder Mitarbeiter den Text im Textverarbeitungsprogramm noch einmal durch, um Korrekturen einzufügen und zu schauen, ob alles gut formatiert und die Grafiken und Tabellen an den richtigen Stellen waren. Den Rest erledigte der Verlag.
Wenn ich heute ein Manuskript fertig habe, das ich selbst in einem Textverarbeitungsprogramm formatiert habe, also eigentlich ein Typoskript, und daraus selbst ein Buch machen möchte, dann muss ich den Text mit Hilfe diverser Software wie zum Beispiel Calibre und Sigil in ein E-Book-Reader-fähiges Format umwandeln, die Abbildungen mit Hilfe eines Bildbearbeitungsprogrammes wie zum Beispiel Photoshop auf eine bestimmte Größe herunterrechnen und daraus skalierbare Vektorgrafiken machen, und zuvor das Ganze formatieren (geradezu ein Euphemismus für den Prozess, der das ersetzt, das früher Layout und Satz hieß, und im Idealfall solide Grundkenntnisse in xhtml, css und xml erfordert). Dann beantrage ich eine ISBN, lade das E-Book in mehreren Formaten bei zehn verschiedenen Vertriebsportalen hoch und informiere mich nebenbei noch, ob ich eine US-Steuernummer benötige, um mein Buch auch bei amazon.org verkaufen zu dürfen.
Ich habe vor etlicher Zeit ein zweitägiges Seminar besucht zum Thema „E-Book-Erstellung“. Ein E-Book zu erstellen bedeutet eigentlich, einen Text, den ich am Computer geschrieben habe, so zu bearbeiten, dass ihn andere auch am Computer bzw. an einem elektronischen Lesegerät lesen können. Mitnichten ein Kinderspiel. Wer sich auf das Wagnis einlässt, selbst ein E-Book zu produzieren, ohne bestimmte Arbeitsschritte outzusourcen, sollte entweder eine große Portion Unbekümmertheit mitbringen oder ein Multimediagenie sein.
Nach zwei Jahrhunderten, in denen Arbeitsprozesse von zunehmender Arbeitsteilung und wachsender Spezialisierung geprägt waren, scheint der Trend in der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts wieder in die andere Richtung zu gehen: Alle machen alles. Noch ist nicht absehbar, was das mit uns, unserer Arbeit und unserer Gesellschaft machen wird.
Was es bei konkreten Vorhaben mit uns macht, ist, dass „wir Multimediaspezialisten“, uns überfordert fühlen. Wer den Anspruch hat, Qualität zu liefern, kommt schnell an seine Grenzen, noch dazu, da die Entwicklung rasant voranschreitet und eine Software schon wieder veraltet ist, wenn man sich in sie eingearbeitet hat.
Fazit: Ich lass die Finger vom E-Book-Erstellen. Das Seminar war trotzdem erhellend.