Pico Iyer: Sushi in Bombay, Jetlag in L.A.

Alle reden von Globalisierung. Pico Iyer lebt sie. Und schreibt davon. Er preist sie nicht als einzig wahre Lebensphilosophie, er beschreibt sie nur. Und doch ist sie für ihn die einzig wahre Lebensart. Weil er keine andere kennt, keine andere mehr leben kann. Als „globale Seele“ weiß er, wovon er schreibt, und erfährt Zustimmung von den anderen globalen Seelen und Befremdung von den Sesshaften.

Pico Iyer ist in drei verschiedenen Kulturen aufgewachsen. Seine aus unterschiedlichen Teilen des Subkontinents Indien stammenden Eltern wanderten nach Großbritannien aus und siedelten später nach Kalifornien über. Als Kind pendelte Pico Iyer zwischen Bombay, seinem Schulinternat in Oxford und der Wohnung in Kalifornien. „And once the movement was in my blood, I could never get it out“, sagte er einmal in einem Interview. Heute lebt Pico Iyer mit seiner japanischen Freundin in Japan und fliegt oft für längere Aufenthalte nach Kalifornien, Kanada und Hongkong, abgesehen von den vielen beruflichen Reisen um die Welt.

Heimatsuche

Ob man ihn als in Japan lebenden Inder oder als in Kalifornien lebenden Briten bezeichnet, ist ihm egal. Schreibt er. Und doch erzählt sein Buch „Sushi in Bombay, Jetlag in L.A.“ zwischen den Zeilen ganz viel von der Sehnsucht nach einer Heimat. Pico Iyer erklärt, es sei auch ein Vorteil, nicht dazuzugehören. Ganz überzeugend kann er es nicht vermitteln, dass dieser Vorteil die Nachteile des Nichtdazugehörens aufwiegt.

„In dem Land, in dem die Leute aussehen wie ich, kann ich keine der dortigen Sprachen sprechen. In dem Land, wo die Leute reden wie ich, sehe ich im höchsten Maße ‚fremd‘ aus, und das Land, wo Leute leben wie ich, ist der fremdeste Platz von allen.“ Und an anderer Stelle: „Begriffe wie ‚Zuhause“ oder ‚Heimat‘ sind mir fremd, meine Heimat drückt sich am ehesten darin aus, ‚Ausländer‘ zu sein – oder vielleicht darin, mit den Ungewissheiten zu leben, die ich in mir herumtrage.“

Shopping überall

Der Originaltitel des Buches ist denn auch näher am Inhalt als der wenig aussagekräftige deutsche Titel: Es geht um „Jet Lag, Shopping Malls, and the Search for Home“. Die Suche nach einem Zuhause ist bestimmend, und nicht das „Unterwegs in einer Welt ohne Grenzen“, wie es der deutsche Untertitel suggeriert. Dass die heutige Welt keine Grenzen kennt, behauptet Pico Iyer nicht. Er beschreibt nur, dass Shopping Malls überall gleich aussehen. Und dass es für Menschen, die mit Notebook und einem Bündel verschiedener Kredit- und Telefonkarten unterwegs sind, oft egal ist, ob sie sich gerade in Hongkong oder in Oslo befinden.

Pico Iyer hantiert viel mit dem Begriff „globale Seele“. Für ihn ein Schlüsselwort, eine Definition einer Lebensform, die im deutschen Buchtitel leider unterschlagen wird. So wie Douglas Coupland die „Generation X“ schuf, indem er sie beschrieb, schuf Pico Iyer die globale Seele. Ähnlichen Kultbuchautorenstatus wird Pico Iyer dennoch nicht erreichen, denn sein Werk liest sich weniger glatt als das von Coupland. Zu viele philosophische Erörterungen längen den Text, schrecken den Wenigleser ab, ermüden den Wenigdenker.

Fühlender Vielflieger

Das Bekenntnis der globalen Seele Iyer ist lesenswert. Die dieser Lebensart gegenüber eher von Unverständnis zeugenden Kritiken des Buches zeigen, dass unsere Welt auch heute nicht global ist. Einige wenige globale Seelen hat es immer gegeben, heute gibt es einige mehr. Die anderen jetten zwar fleißig, jedoch allein Flugmeilensammeln rettet nicht vor Engstirnigkeit. Pico Iyer sammelt auch Meilen, aber das hält ihn nicht vom Reflektieren ab.

Globalisierung und Beliebigkeit scheinen sich gefährlich nahe zu kommen, ist ein Eindruck, der sich dem Leser aufdrängt. „Für mich kann jeder Ort zur Heimat werden – und in gewissem Maß zur Nicht-Heimat“, konstatiert Pico Iyer. Das Schreiben zumindest scheint eine Art Heimatersatz für ihn zu sein. Deshalb kann Pico Iyer auch mit dem Etikett „Reiseschriftsteller“ leben. „Sushi in Bombay, Jetlag in L.A.“ ist kein Reisebuch, aber ein Flughafen wäre der passende Ort, es zu lesen.

Literaturangaben:
IYER, PICO: Sushi in Bombay, Jetlag in L.A. Übersetzt aus dem Englischen von Carl Freytag. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 318 S. 19,90 €.

Zuerst veröffentlicht im März 2004 bei der Berliner Literaturkritik.

Mehr dazu im Netz:

– Link zur Rezension bei der Berliner Literaturkritik

Druckausgabe der Berliner Literaturkritik Mai 2004 (Inhaltsangabe)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert