Das Zweite Internationale Platonow-Festival ist eröffnet. In den kommenden zehn Tagen beherrschen Theater, bildende Kunst und Literatur die Hauptstadt des russischen Schwarzerdegebietes. Die Stadt Woronesch will sich mit diesem Festival, das 2011 von Michail Bytschkow, Regisseur und Direktor des Kammertheaters Woronesch, ins Leben gerufen wurde, auch als Kulturhauptstadt der Region profilieren.
Auf dem Programm stehen Auftritte und Inszenierungen international renommierter Künstler. Die Eröffnung des Festivals erfolgte gestern, am Freitag, um 17.00 Uhr auf dem Lenin-Platz, dem zentralen Platz der Millionenstadt in der russischen Provinz. Schon seit Tagen war dort zu spüren, dass etwas bevorsteht: Bühnen wurden aufgebaut, Flaggen gehisst, Pavillons errichtet.
Den Auftakt des Festivals bildet der Literaturteil. Von Freitag bis Sonntag finden zahlreiche literarische Veranstaltungen statt, begleitet von einer „Buchmesse“, auf der sich über 30 unabhängige, also nicht-staatliche Verlage präsentieren (Samokat, Ad Marginem, OGI, BGS-Presse, Text, Ves‘ Mir, NLO, Mir detstva media, Kultur’naja revoljucia, KompasGid, Rozovyi shiraf, Klassika-XXI, Falanster, Berrouns/Medlennye knigi, Izdatel’stvo Ivana Limbacha, Izdatel’stvo Ol’gi Morozovoi, Azbuka-Attikus, Vremja, Galart, Art-Rodnik, Iskusstvo XXI vek, Livebook/Gajartri, Gnosis, Delo, Izdatel’stvo Instituta Gaidara, Evropa, Territorija budusheveo, ZebraE, Clever, Poljandrija, Limbus-Press, Piotrovskij). Sie alle haben eine Auswahl aus ihrem aktuellen Verlagsprogramm mitgebracht, die Bücher werden vor Ort verkauft.
Neben den Verkaufsständen befinden sich ein Café und eine Leseinsel, die dazu einladen, gleich in den neu erworbenen Bücher zu schmökern. Im Pavillon daneben finden Lesungen, Autogrammstunden und Pressekonferenzen statt. Am Freitag lasen hier Andrej Rodionow und Sergej Gandlowskij.
Am ersten Festivalabend mussten die Gäste noch nicht zwischen allzu vielen Parallelveranstaltungen wählen. Im Kolzow-Theater präsentierte das Kleine Dramatische Theater aus St. Petersburg das Stück „Leben und Schicksal“ von Wasilij Grossman, während im Club „Hundertwasser“ der erste Woronescher Poetry-Slam stattfand.
„Das ist der erste Poetry-Slam hier, deshalb können wir uns noch einige Unregelmäßigkeiten erlauben“, verkündet der Moderator, als im Laufe des Abends plötzlich Teilnehmerin Nummer eins auf der Bühne erscheint und für anderthalb zusätzliche Minuten das Mikrofon und die Aufmerksamkeit des Publikums einfordert. Eigentlich gibt es einen strengen Plan: Drei Minuten Sprechzeit pro Person, Auftritt in alphabetischer Reihenfolge, anschließende Bewertung der dichterischen Leistung und der Performance auf einer Skala von 1 bis 5 Punkten durch vorher „zufällig“ ausgewählte Vertreter des Publikums („Wer will denn bewerten?“), die vier Teilnehmer mit den meisten Punkten kommen ins Finale, der Sieger erhält ein Preisgeld und darf am dritten russlandweiten Poetry-Slam in Perm teilnehmen.
Anders als beim klassischen Poetry-Slam sind die Teilnehmer keine Neulinge im Geschäft, alle sind junge Künstler, die in der Stadt schon einen Namen haben, sich gegenseitig kennen und ihre Freunde zur Unterstützung mitgebracht haben. „Keine neuen Gesichter“, beklagt sich Nina Tjurina, eine der Teilnehmerinnen, nach einem ersten Blick ins Innere des Clubs. Das Spektrum des Gebotenen ist breit, es gibt plakative und exzessive, aber auch kontemplative und philosophische Verse zu hören.
Zu den Finalisten gehören auch Vera Safonowa, Autorin des Gedichtbandes „Перевосприятие“ (Wahrnehmungswechsel), und Nikolaj Doroschew. Als Siegerin des Poetry-Slam wird schließlich Vera Safonowa gefeiert.
Während auf der Bühne des „Hundertwasser“ Gedichte nach Zeit vorgetragen werden, sitzt der Moderator rauchend daneben und schaut gelegentlich skeptisch. Andrej Rodinov darf sich das erlauben, schließlich ist er nicht nur Autor von sechs Gedichtbänden, sondern auch renommierter Poetry-Slammer, der weit über das Moskauer „Bilingua“ hinaus bekannt ist.
Und für seine Moderation hätte er auf jeden Fall die volle Punktzahl für Performance bekommen.
Verfasst für NRCT