Katherine Mansfield, die große Meisterin der modernen Short Story, neu zu verlegen, ist an sich schon einmal eine sehr gute Sache. Ute Haffmans hat für den Haffmans Verlag bei Zweitausendeins die Kurzgeschichtensammlung „In einer deutschen Pension“ neu übersetzt und in einer handlichen gebundenen Ausgabe vorgelegt.
Katherine Mansfields Kurzgeschichten sind einhundert Jahre alt und bis heute nicht so populär, wie sie es verdient hätten. Geschichten wie impressionistische Gemälde. Mit einzelnen Äußerungen werden Charaktere hinreichend beschrieben, mit sparsamen Details das Setting skizziert. Treffend, ironisch, kein Wort ist überflüssig, und das Ganze fügt sich mit einer Leichtigkeit zu einer Short Story zusammen. „Ich war eifersüchtig auf ihre Art zu schreiben – die Einzige, auf die ich je eifersüchtig war“, soll Virginia Woolf über sie gesagt haben.
Zu Lebzeiten von Katherine Mansfield, sie starb mit 34 Jahren, wurden nur drei Bände mit Erzählungen veröffentlicht. Nach ihrem Tod erschienen, herausgegeben von ihrem zweiten Ehemann, John Middleton Murry, zahlreiche Ausgaben ihrer Kurzgeschichten, Gedichte, Briefe und Tagebücher. Sie selbst hatte gewollt, dass ihre Manuskripte, Tagebücher und Briefe vernichtet werden. Doch Murry, der ihr als Ehemann im Leben nicht die emotionale und praktische Unterstützung geben konnte, die sie brauchte, initiierte nach ihrem Tod einen Mansfield-Kult mit einer Flut von Veröffentlichungen.
Katherine Mansfield legte beim Schreiben Wert auf Perfektion. Ihre besten Erzählungen sind perfekt. In den Sammlungen „Das Gartenfest“, „Glück“ oder „Etwas Kindliches, aber sehr Natürliches“ gibt es Geschichten, in denen kein Komma, keine Interjektion, kein Adjektiv zu viel oder zu wenig enthalten ist, Geschichten, die berühren, Geschichten, die bezaubern, verblüffen, nachdenklich oder zornig machen. Aber auch ihre nicht ganz perfekten Geschichten sind durchaus des Lesens und des Wieder-Lesens wert.
„In einer deutschen Pension“ enthält Geschichten, die Katherine Mansfield im Alter von einundzwanzig Jahren schrieb. Die meisten davon entstanden tatsächlich in einer Pension in Bad Wörrishofen, einige im Nachhinein unter Verwendung der dort in einem halben Jahr Aufenthalt gewonnenen Eindrücke, zumindest eine Geschichte („Ein Geburtstag“) wurde nachträglich adaptiert, um sie in die 1911 zuerst als Buch erschienene Sammlung „In a German Pension“ aufnehmen zu können. Katherine Mansfield bezeichnete ihr Erstlingswerk später als unreif, es enthalte zu viel „jugendliche Bitterkeit“ und „groben Zynismus“.
Katherine Mansfield wurde 1888 als Kathleen Beauchamp in der High Society der britischen Kolonie Neuseeland geboren. Im Alter von knapp fünfzehn Jahren wurde sie mit ihren beiden älteren Schwestern nach London in ein Mädchenpensionat geschickt. Nach ihrer Rückkehr nach Wellington setzte sie alles daran, der dortigen Spießigkeit und provinziellen Enge zu entfliehen, in der sie schon als Kind als Außenseiterin aufgefallen war, und wieder nach England zu gehen. Dort wollte sie Künstlerin werden.
1908 schiffte sie sich nach London ein, verliebte sich in den Zwillingsbruder des bislang von ihr angebeteten Arnold Trowell, Garnet, beide begabte Musiker, und schloss sich ihm und seiner umherreisenden Operntruppe an. Lange blieb sie nicht dabei, da sie keine Ruhe zum Schreiben fand. Da die Eltern ihres zwanzigjährigen Geliebten gegen eine Heirat waren, entschied sich Katherine Mansfield 1909 zu einer Vernunftehe, die genau einen Tag hielt. Doch der Status einer verheirateten Frau rettete sie nicht davor, dass ihre Mutter aus Neuseeland angereist kam, um die schwangere, die Konventionen verachtende Tochter aus der Reichweite des gesellschaftlichen Klatsches „zur Erholung“ nach Bayern zu schicken.
In der deutschen Pension hatte Katherine Mansfield genug Muße zum Schreiben. Die junge, unangepasste Neuseeländerin beobachtete ihre Umwelt und ihre Mitmenschen in dem deutschen Kurort genau. Sie war dabei, gehörte aber nicht ganz dazu, was ihr die Chance bot, mit einer ironischen Distanz Episoden zu schildern. Sie ist die Beobachterin, die Zuhörerin. Gut kommen die Deutschen dabei nicht weg: Sie reden ständig von ihrer Verdauung, sie absolvieren absurde Prozeduren wie Kneippkuren, Luftbaden und Tautreten, sie pflegen ihr empfindliches Gemüt und ihre moderne Seele.
Scheinbar mühelos, scheinbar alltäglich, lakonisch dahingeworfen wirken ihre Erzählungen. Es geht mitnichten nur um Launiges aus dem Pensionsalltag. Katherine Mansfield fängt in ihren Geschichten das gesellschaftliche Umfeld sehr genau ein. Standesunterschiede, Standesdünkel, Konventionen, das Verhältnis der arbeitenden zur konsumierenden Bevölkerung stehen ebenso im Mittelpunkt ihrer Erzählungen wie das Verhältnis von Mann und Frau und die Rechte und Pflichten im Leben, die sich scheinbar aus dem natürlichen Geschlecht ergaben.
Durch Katherine Mansfields Erzählband wird für den heutigen Leser nachvollziehbar, wieso sie selbst sich entschloss zu heiraten – um sich gewisse Freiheiten bei ihrer künstlerischen Selbstverwirklichung überhaupt erst gestatten zu können. Eine verheiratete junge Frau, deren Ehemann sie auf Reisen nicht begleitete, war zwar Gegenstand der Nachfrage und zuweilen suspekt, eine unverheiratete junge Frau auf Reisen wäre aber schlichtweg unmöglich gewesen.
Eine Positionierung – noch nicht oder schon verheiratet – war Voraussetzung für jede Konversation: „Wir, die Verheirateten, tauschten Vertraulichkeiten über die Unterkleidung und die besonderen Eigenschaften unserer Ehemänner aus, die Unverheirateten besprachen die Oberbekleidung und die besonderen Reize möglicher Heiratskandidaten.“ Und auch äußerlich wurde der Status dokumentiert: „Am Tag des Ereignisses schwebten die verheirateten Damen mit Kleidern wie Polstersessel durch die Pension und die unverheirateten wie drapierte Frisiertischdecken aus Musselin.“
Ein nicht vordergründiges, aber dennoch ständig präsentes Thema Katherine Mansfields ist denn auch das Schicksal und die Selbstbestimmung der Frau zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Aus den Worten der männlichen und weiblichen Kurgäste in der deutschen Pension lässt sich nur eines herauskristallisieren: Das Glück und die Erfüllung der Frau liegt darin, ihrem Mann viele Kinder zu schenken und ihm sein Leibgericht zu kochen. Die Ich-Erzählerin gibt sich in den intimen Gesprächen von Frau zu Frau verschiedene, immer gut bürgerliche Identitäten.
„Dieser Ehemann, den ich eigens für Frau Fischer erfunden hatte, nahm in ihren Händen so reale Gestalt an, dass ich mich nicht länger auf einem Felsen sitzen sah, mit Seegras im Haar, um auf das Geisterschiff zu warten, das alle Frauen so sehr herbeizusehnen belieben. Ich sah mich nun eher einen Kinderwagen die Landungsbrücke hinaufschieben und die fehlenden Knöpfe an der Uniformjacke meines Gatten zählen.
„Jede Menge Kinder, das ist es, was Sie brauchen“, sann Frau Fischer. „Denn als Familienvater kann er sie nicht verlassen. Denken Sie an sein Entzücken und seine Erregung, wenn er Sie sieht.“
Der Plan erschien mir etwas gewagt. Plötzlich mit einem Arm voller Kinder aufzutauchen, ist gewiss nicht der beste Weg, um Begeisterungsstürme beim durchschnittlichen britischen Ehemann hervorzurufen. Ich beschloss, meine unbefleckte Schöpfung Schiffbruch erleiden und ihn irgendwo bei Kap Hoorn untergehen zu lassen.
Dann ertönte der Gong zum Abendessen.“
Dieser Schluss ist eine typische Mansfieldsche Sequenz in den frühen Erzählungen. Einerseits distanziert sich Katherine Mansfield von den deutschen Pensionsgästen, die sie so pointiert beschreibt, andererseits befindet sie sich jedoch in deren Mitte, beteiligt sich an den Kurbehandlungen und gemeinsamen Waldspaziergängen, die sie in ihren Geschichten aufs Korn nimmt.
Mehr noch, sie verleiht ihren Heldinnen, der „fortschrittlichen Dame“ etwa oder der „modernen Seele“ Sonia Godowska, eigene Züge, um sich auf diese Weise humorvoll mit ihren eigenen Schwächen auseinanderzusetzen. Köstlich, wie sie die „sapphisch fühlende“ junge Dame gezielt in Ohnmacht fallen lässt. In grandioser Situationskomik gestaltet sie immer wieder den klaffenden Abgrund zwischen Anspruch – der „Unverstandenen“, der künstlerischen Seelen – und Wirklichkeit mit all ihren Banalitäten und Peinlichkeiten. Eine moderne Seele sollte nämlich kein Korsett tragen.
Für die Frau und Schriftstellerin Katherine Mansfield war die Zeit in dem deutschen Kurort eine Zeit der Sinnsuche, der Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich eine Existenz als Künstlerin aufbauen ließ, wie man in den höheren Sphären der Kunst schweben konnte, ohne Geld zu haben, wie man hehre Gefühle in Texten gestalten sollte, wenn man im Alltag in einem ungeheizten Zimmer, für das die Miete noch nicht gezahlt war, saß. Wie ließen sich ihre Lebensziele umsetzen, ohne einen reichen, verständnisvollen Mann im Hintergrund, der die Künstlerexistenz sponserte? Wie hingegen konnte die künstlerische Seele Anregungen erfahren ohne die Inspiration durch Liebe und Leidenschaft, was anscheinend nur möglich war mit anderen mittellosen Künstlerseelen?
Um diese Fragen ranken sich denn auch die Erzählungen jener Phase. Immer wieder thematisiert sie, wie viel Selbstbestimmung für eine Frau in einer Ehe noch möglich ist – wenig. „Am Kopfende des mittleren Tisches saßen die Braut und der Bräutigam, sie in einem weißen, mit bunten Bandschleifen geschmücktem Kleid, das sie wie eine Torte mit Zuckerguss aussehen ließ, die nur darauf wartet, angeschnitten und dem Bräutigam serviert zu werden“, heißt es an einer Stelle. Und in einer anderen Geschichte lässt sie eine der deutschen Damen fragen: „Wie kann eine Frau erwarten, ihren Mann zu halten, wenn sie nach drei Jahren noch nicht einmal seine Leibspeise kennt?“ (Es folgt ein Mansfieldscher Schluss: „Mahlzeit!“ – „Mahlzeit!“– Ich machte die Tür hinter mir zu.)
Es versteht sich, dass die Männerwelt erst recht nicht gut wegkommt in diesen Erzählungen. Von sich eingenommene, überhebliche, eitle Herren begegnen uns da. Wie der äußerst verständnisvolle Herr Professor, der seine Gesprächspartnerin nach einigen Plattitüden über Kirschen und Maden auf der Parkbank wohlwollend fragt: „Die Unterhaltung ist nicht zu hoch für Sie? Ich habe so selten Zeit oder Gelegenheit, mich einer Frau zu öffnen, dass ich dazu neige, dies außer acht zu lassen.“ Oder wie Andreas Binzer, dessen Ehefrau bei ihrem dritten Kind eine schwierige Geburt überstehen muss, und den sie ausrufen lässt: „Niemand kann mir vorwerfen, dass ich nicht wüsste, was es heißt, zu leiden.“
Katherine Mansfield schreibt über Konventionen, über Ehe und Liebe, über Geburt und Kindererziehung, über Selbstachtung und Freiheit, über außereheliche Affären, über Vergewaltigung in der Ehe, Vergewaltigung von Dienstmädchen und über Kinderausbeutung – ohne dass diese Schlüsselworte jemals fallen. Und bei allem Abstand, den sie durch ihren Humor erreicht, schreibt sie doch immer sehr realistisch und bezieht meist eindeutig Stellung. In ihren Erzählungen steht sie auf Seite der Frauen, die ihre Ehemänner als Faktotum betrachten und versuchen, sich ein Stück Freiheit zu genehmigen – und sei es, im Kurort als erstes Korsett und Stiefel gegen Bademantel und Sandalen auszutauschen.
Die Haffmans-Ausgabe enthält im Anhang editorische Notizen, biographische Daten Katherine Mansfields, Anmerkungen zu den Texten und ein Nachwort. Diese Informationen tragen hoffentlich zusätzlich dazu bei, dass Katherine Mansfield wieder mehr gelesen wird. Ein Rätsel enthüllen die Anmerkungen jedoch nicht: Warum war eine Neuübersetzung nötig, wo doch mit der von Elisabeth Schnack besorgten Übersetzung sämtlicher Erzählungen, 1980 in zwei Bänden von der Büchergilde Gutenberg herausgegeben, eine ausgezeichnete deutsche Variante der Mansfieldschen Texte vorliegt?
Beide Übersetzungen beruhen auf dem 1945 von John Middleton Murry herausgegebenen Band „The Collected Stories of Katherine Mansfield“ beziehungsweise auf dem 1974 in Auckland erfolgten Nachdruck unter dem Titel „The Complete Stories of Katherine Mansfield“. Wesentliche Änderungen in Wortwahl und Duktus ergaben sich auch bei der Neuübersetzung nicht. An manchen Stellen mag es nur eine Irritation wegen der Macht der Gewohnheit sein, oft gelesene Passagen plötzlich leicht umformuliert zu sehen. An manchen Stellen fragt man sich einfach nur, wozu ganze Passagen, fast wortwörtlich, neu übersetzt werden mussten.
Nun denn, mit Katherine Mansfields Pragmatismus gibt es eine einfache Antwort darauf: „Nimm es hin! Lass dich überwältigen! Nimm es gänzlich an!“ Mögen möglichst viele Leser sich von der Schriftstellerin Katherine Mansfield überwältigen lassen! Mögen sie mehr als nur diese Sammlung früher Erzählungen von ihr lesen, sei es in neuen oder alten Übersetzungen, in zweisprachigen Ausgaben oder im Original.
Literaturangaben:
MANSFIELD, KATHERINE: In einer deutschen Pension. Übersetzt aus dem Englischen von Ute Haffmans. Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2006. 189 S., 13,90 €.
Zuerst veröffentlicht im Juli 2007 bei der Berliner Literaturkritik.
Mehr dazu im Netz:
– Link zur Rezension bei der Berliner Literaturkritik